Offener Brief zum NetzDG

Die österreichische Bundesregierung plant ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz (kurz NetzDG). Wir machen uns Sorgen, dass zu starre und sanktionsbewehrte Fristen sowie einseitige Strafandrohungen community-basierte Moderationsmodelle gefährden könnten. Ebenso gefährlich wäre es, die letztgültige Entscheidung darüber, ob ein beanstandeter Inhalt illegal ist, und somit nicht mehr unter Meinungsfreiheit fällt, einem Plattformbetreiber zu überlassen. Wir wenden uns deshalb gemeinsam mit epicenter.works in einem Offenen Brief an Europaministerin Karoline Edtstadler und Justizministerin Alma Zadić.

Wortlaut des Briefs

Sehr geehrte Europaministerin Mag.a Karoline Edtstadler,
sehr geehrte Justizministerin Dr.in Alma Zadić LL.M.,

Wien, 27. Juli 2020

anlässlich der Ankündigungen eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes in Österreich1 wenden wir uns an Sie. Wikimedia Österreich ist Teil der weltweit tätigen Wikimedia-Organisation, die die Wikipedia und ihre Schwesterprojekte betreibt und finanziert und dabei die ehrenamtlichen Mitwirkenden von Wikipedia und ihren Schwesterprojekten tagtäglich dabei unterstützt, glaubwürdige und geprüfte Informationen auf allen Online-Plattformen zugänglich zu machen. Epicenter.works (ehemals AKVorrat) arbeitet als Verein seit über 10 Jahren daran Grundrechte im digitalen Zeitalter zu verteidigen.

Der Zugang zu Wissen und die Meinungsfreiheit sind als Grundbedürfnisse in einer Demokratie besonders geschützt. Sie finden ihre Grenzen erst da, wo die Rechte und Würde anderer verletzt werden. Dies gilt online und offline. Wir teilen die Ansicht, dass rechtswidrige Inhalte im Internet ein effektives Vorgehen erfordern und dass es Missstände bei der Inhaltsmoderation dominanter Internetkonzerne gibt. Gerade deswegen müssen diesbezügliche Verschärfungen des rechtlichen Rahmens sehr zielgerichtet, verhältnismäßig und evidenzbasiert sein – auch und insbesondere beim geplanten Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

Community-basierte Moderationsstrukturen sind ein Erfolgsmodell – Wikipedia beweist dies

Plattformbetreibern kommt hier eine wichtige Aufgabe zu, indem sie eindeutig illegale Inhalte sperren oder löschen. Dies passiert bereits tagtäglich in Projekten von Wikimedia. Wikimedia hat mit der Wikipedia ein Modell realisiert, das die ehrenamtliche Community ermächtigt, Regeln zu erstellen und diese selbst zu implementieren. Nur in den seltensten Fällen ist es hierbei notwendig, dass der Verein Wikimedia Österreich oder die Wikimedia Foundation, die die Server betreibt, einschreitet um etwa zu schlichten oder Gerichtsentscheidungen zu folgen.

Wie eine vom Berkman Klein Center (Harvard University) durchgeführte Studie zeigt, ist dieses community-basierte Modell effektiv.2 Strafrechtlich relevante Äußerungen, andere illegale Inhalte und Hassreden werden von freiwilligen Moderator*innen in aller Regel zügig gesperrt. Dies zeigt: Freiwillige können mindestens ebenso gut mit rechtswidrigen Inhalten und Hassreden umgehen wie kommerzielle Anbieter. Mehr noch: Nutzer*innen übernehmen hier Verantwortung für das Projekt und füreinander. Sie sorgen so dafür, dass der gegenseitige Respekt nicht verloren geht.

Wir machen uns Sorgen, dass zu starre und sanktionsbewehrte Fristen sowie einseitige Strafandrohungen community-basierte Moderationsmodelle gefährden könnten. Diese basieren auf Transparenz der Entscheidungen und der Ermächtigung von Online-Bürger*innen und stellen so eine echte Alternative zu den Modellen der kommerziellen Plattformen dar. Wir würden uns wünschen, dass der Gesetzgeber diese Moderationsmodelle berücksichtigt und als echte Option wahrnimmt, statt wie beispielsweise im deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz eine Anreizstruktur zu schaffen, die dazu führt, dass Plattformen intransparente Werkzeuge und Prozesse einsetzen (müssen) und Inhalte im Zweifelsfall präventiv und in zu großem Umfang gelöscht werden.

Rechtsstaatliche Prinzipien im Internet stärken

Ebenso gefährlich wäre es, die letztgültige Entscheidung darüber, ob ein beanstandeter Inhalt illegal ist, und somit nicht mehr unter Meinungsfreiheit fällt, einem Plattformbetreiber zu überlassen. Bei beanstandeten Moderationsvorgängen über die Illegalität eines Inhalts sollte es die Möglichkeit einer gerichtlichen Prüfung geben, um rechtsstaatliche Prinzipien im Internet zu stärken.

Beim berechtigten Versuch Facebook und Google zu regulieren, dürfen nicht kleine Plattformen und KMUs benachteiligt werden

Wir entnehmen den Medienberichten, dass Online-Enzyklopädien von dem Gesetz ausgenommen sein sollen. Die Wikimedia Foundation betreibt jedoch auch nicht-enzyklopädische Projekte. Wenn das Netzwerkdurchsetzungsgesetz so formuliert wird, dass es auf Community-basierte Projekte oder kleinere Online-Foren in der gleichen Art anwendbar ist, wie auf große gewerbliche Plattformen,3 bedroht dieses Gesetz exakt diese intakten Teile der Debattenkultur im Internet. Starre Löschfristen einzuhalten und ladungsfähige Personen im Inland zu unterhalten sollte lediglich jenen Plattformen vorgeschrieben werden, die den notwendigen globalen Umsatz erwirtschaften, um durch diese Anforderungen nicht in ihrer Existenz in Frage gestellt zu werden. Dies betrifft insbesondere ehrenamtliche und gemeinwohlorientierte Projekte.

Wir ersuchen Sie daher:

1) Schützen Sie die Meinungsfreiheit im Netz und nehmen Sie gemeinwohlorientierte und kleinere Plattformen unter einer globalen Umsatzgrenze vom Gesetz aus, um ihre Existenzgrundlage nicht in Frage zu stellen.

2) Stärken Sie den Rechtsstaat im Internet durch eine gerichtliche Prüfung beanstandeter Inhaltsmoderationen.

3) Letztlich bitten wir Sie darum, im Gesetzgebungsprozess die diesem wichtigen und komplexen Thema angemessene Sorgfalt walten und Alternativmodelle nicht außer Acht zu lassen.4

Hochachtungsvoll,

Wikimedia Österreich

epicenter.works – for digital rights