Interview: Barbara Reitler

Österreichischer Alpenverein (ÖAV)

Österreich hat einzigartige Naturdenkmäler und wertvolle Naturschutzgebiete, aber wer kennt sie? Oft sind sie nicht ausreichend gekennzeichnet, manchmal ist ihre Abgrenzung und ihr naturschutzrechtlicher Status selbst für Experten unklar. Im Rahmen von Wiki Loves Earth (WLE) möchten wir über die Wikipedia mehr Bewusstsein für unser Naturerbe schaffen und die nötigen Informationen dafür zur Verfügung stellen. Und weil man in einer starken Seilschaft mehr erreicht, arbeiten wir mit Menschen zusammen, die die schönsten Ecken Österreichs kennen wie ihre Westentasche. Eine davon ist Barbara Reitler vom Alpenverein Österreich, die 2015 unsere WLE-Fotojury unterstützte.

 

 

 

Barbara Reitler; Urheber: Österreichischer Alpenverein

Der Alpenverein als Naturschutzorganisation ist u.a. auch Pate und Partner alpiner Nationalparks und anderer Schutzgebiete was zeichnet eure Freiwilligen in dieser Hinsicht aus und welche Schnittstellen gibt es zur Wikimedia Community?

Wie auch Wikipedia lebt der Alpenverein – nun schon seit über 150 Jahren – vom ehrenamtlichen Engagement Einzelner. 500.000 Alpenvereinsmitglieder sind natürlich keine heterogene Masse, sondern spiegeln die vielfältigen Interessen und individuellen Stärken der einzelnen Menschen wieder. Da es viele verschiedene Themenbereiche in den einzelnen Sektionen des Vereins zu bearbeiten gibt, kann sich jeder eine Aufgabe suchen, die den eigenen Interessen entspricht – und gleichzeitig vom gesamten Angebot einer großen Gemeinschaft profitieren.

Was alle verbindet ist natürlich die Liebe zur Natur und zur Bewegung im Freien. Viele unserer Mitglieder sind gleichzeitig auch passionierte FotografInnen und fangen während ihren Unternehmungen über das Jahr eine Menge an beeindruckenden Naturschauplätzen ein. Schön wäre hier natürlich, diese Schätze einer breiteren Öffentlichkeit – unter freien Lizenzen – zugänglich zu machen.

Welchen Beitrag kann Freies Wissen für den Natur- und Umweltschutz in Österreich leisten?

Der Zugang zu Wissen ist ein wichtiger Faktor für jegliche Form von Emanzipation. So kann sich etwa ein Laie zu Themen bilden, die ihm ein Rätsel sind bzw. vorher waren. Wenn das Ganze auch noch unkompliziert und verständlich ist sowie freiverfügbar und gleichzeitig vertrauenswürdig, dann ist es doppelt so leicht.

Man nehme als Beispiel die Aarhus-Konvention: ein völkerrechtlicher Vertrag, welcher einerseits den Zugang zu Informationen, aber auch die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten regelt – und jeder einzelnen Person Rechte im Umweltschutz zugesteht.

Angenommen ich bin von einem – sagen wir Erschließungsprojekt betroffen, kenn mich mit Umweltrecht etc nicht aus und möchte aber nicht machtlos zusehen, wie ich vor vollendete Tatsachen gestellt werde. Dann sehe ich mich im Internet um und recherchiere meine Möglichkeiten, stoße auf die Aarhus-Konvention, welche der Allgemeinheit nach wie vor eher unbekannt ist und erkenne, dass auch ich als Privatperson den Anspruch habe, in solchen Umweltbelangen gehört zu werden.

Je mehr Menschen wissen, welche Mittel ihnen zur Verfügung stehen unsere Welt zu erhalten, desto besser.

Was macht Wikimedia Österreich zu einem guten Verbündeten für eure Arbeit?

Was einem lieb und teuer ist, dem misst man auch entsprechende Bedeutung bei – und setzt sich dafür sein. Dies gilt für den freien Zugang zu Informationen genauso wie für Natur- und Umweltschutzthemen. Bewusstseinsbildung spielt hier eine tragende Rolle und ist natürlich ein übergeordnetes Ziel als Umweltschutzorganisation, die sich insbesondere für einen so komplexen Lebensraum wie die Alpen stark macht.

2015 wurde dazu unser Laien-Biodiversitätsmonitoring „Vielfalt bewegt! Alpenverein“ gestartet. Ziel ist es dabei, einen Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt in den Alpen zu leisten und unser Wissen um Zusammenhänge zu steigern. Und auch hier hängen wir vom Einsatz der ehrenamtlichen Community ab: Damit man feststellen kann, wie sich die Artenvielfalt über die Jahre entwickelt, muss man geeignete Tier- und Pflanzenarten (Indikatorarten) regelmäßig und systematisch beobachten, und dokumentieren – sprich monitoren. Aktuell stellen wir 17 verschiedene Arten vor, die über der Waldgrenze vorkommen und über die nur eine geringe Datenlage vorherrscht. Selbst wenn nur 1% von über 500.000 umweltbewegten Alpenvereinsmitgliedern über die Jahre aktiv für das Beobachten von Tieren und Pflanzen begeistert werden kann, so tragen weitere 5.000 Multiplikatoren Wissen über die Vielfalt der Alpen in die Breite und leisten einen wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung für die heimische alpine Flora und Fauna. Sobald es Daten (zB Verbreitungskarten, Fotos, Beobachtungen) gibt, werden diese frei auf unserer Homepage zur Verfügung gestellt. Gerade zu seltenen oder endemischen Arten finden sich nur schwer Informationen. Unser Projekt kann helfen, diese Lücke zu füllen. Gleichzeitig haben wir für unsere Bestimmungs-Steckbriefe auch auf Bilder mit Creative-Commons Lizenz zurück gegriffen und waren dafür sehr dankbar!

Vielen Lesern der Wikipedia ist nicht bewusst, dass es hinter der Webseite eine Community aus Autoren, Fotografen und Codern gibt oder Wikimedia Vereine, die diese in ihrer Arbeit unterstützen. Wie würdest du diesen Leuten die Community und die Zusammenarbeit mit ihr in wenigen Worten beschreiben?

Ein Luxus, den sich die Demokratie leistet, ist, dass jede/r selbst entscheidet, in wie weit er oder sie sich außerhalb ihrer gesetzlichen und gesellschaftlichen Verpflichtungen in eben diese Gesellschaft einbringt. Dass nicht jedes Alpenvereinsmitglied automatisch eine Funktion übernimmt, ist klar – aber ohne diesen Einsatz gebe es den Verein nicht! Das gleiche gilt für eine Plattform wie Wikimedia: wenn niemand mehr seine Zeit investiert, fällt ein einzigartiges Projekt in sich zusammen. Damit es nicht soweit kommt, braucht es das Bewusstsein der Menschen, dass sie mehr als nur Konsumenten sind – sondern sich nach ihren eigenen Möglichkeiten auch einbringen sollen.

Die Wikipedianer, die ich kennen lernen durfte, waren absolute Idealisten – und auch Spezialisten. Und was mich sehr an meine KollegInnen im Alpenverein erinnert hat: sie waren mit einem Ehrgeiz und einer Begeisterung bei der Sache, die ihnen augenscheinlich große Zufriedenheit verschafft. Ganz ohne monetäre Gegenleistungen. Und genau von diesen Idealisten leben diese Projekte, und dem sollte man sich bewusst sein und das Angebot nicht als selbstverständlich ansehen.

www.alpenverein.at/portal/natur-umwelt/vielfalt_bewegt
www.alpenverein.at
https://de.wikipedia.org/wiki/Aarhus-Konvention